Neues Land – neue Umgebung, neue Sprache, Traditionen, Regeln und andere Menschen. Das Leben außerhalb des Heimatlands ist bereits für manche eine Herausforderung, aber in ein neues Land zu fliehen, aufgrund des Kriegs, und das Leben mit einem leeren Blatt Papier zu beginnen, ist eine anstrengende mentale Herausforderung, die mit dem Geist und der Hoffnung bewältigt werden kann. Obwohl dieser Kampf lange dauert, ist es möglich, als Sieger hervorzugehen, und Myroslava Holovchenko (32) hat dies bewiesen. Sie stammt aus Luhansk, die Ukraine, daher ist der Krieg von 2022 nicht ihre erste Erfahrung. Sie hat von ihrer nicht einfachen Reise nach Deutschland berichtet und darüber, wie sie ihr neues Leben aufgebaut hat.
S: Wo hast du vor dem Krieg gelebt?
M: Ich bin in Luhansk geboren, habe aber seit 2013 in Charkiw gelebt.
S: Welchen Job hattest du in Charkiw?
M: Ich war die Assistentin des Direktors in einem Unternehmen, das Ausrüstung für die Erdölverarbeitung an Werke in Aserbaidschan liefert.
S: Warum Deutschland? Erzähl bitte die ganze Geschichte, die zu deiner gegenwärtigen Lage geführt hat.
M: Ich habe eine Freundin, die auf Zyprus lebt und im Hotel arbeitet. Noch vor dem Krieg hat sie mir angeboten zu ihr zu kommen und als Managerin zu arbeiten. Ich konnte gut Englisch sprechen, mehr verdienen als in der Ukraine und hatte die Möglichkeit an Strände zu gehen.
Am Anfang des Kriegs hatte ich Angst, irgendwohin zu fahren, und die Freundin hat auch gesagt, dass ich erst durchhalten soll. Aber Anfang März habe ich einen Anruf von meinem Direktor bekommen mit dem Angebot zur Evakuierung, und ich habe zugestimmt. So bin ich zum Bahnhof gekommen, wo ich die Schwester des Direktors und ihre Tochter getroffen habe. Das Problem war, dass wir nicht sofort mit dem Zug fahren konnten, da die Soldaten sehr wenige Leute reingelassen haben und erst nur Frauen mit kleinen Kindern erlaubt waren. Deshalb haben wir den ganzen Tag neben dem Bahnhof gewartet (von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends) und die ganze Zeit Explosionen gehört. Wir konnten nirgendwohin gehen, da wir unseren „Platz“ verlieren würden. Als wir endlich reingehen durften, hatte ich den Eindruck, dass es sogar mehr Menschen innerhalb des Bahnhofs gab, aber auch sie mussten die ganze Zeit warten. Das Schlimmste war der Gedanke, ob ich überhaupt irgendwohin fahren würde schaffen, weil ich in all dieser Zeit niemals einen Zug gesehen habe.
Später haben wir endlich die Durchsagen über die ankommenden Züge gehört. Aber es wurde nicht bekanntgegeben, auf welchem Bahnsteig der Zug fahren würde. Deshalb sind wir sehr lange Zeit hin und her gelaufen (der Bahnhof in Charkiw ist riesig!), um den passenden Zug zu finden. Es war schon 12 Uhr nachts, aber als wir versuchten, in die Züge einzusteigen, waren schon so viele Leute da, dass es keine Möglichkeit gab, auf dem Boden zu sitzen. Wir haben mit Mühe den passenden Zug nach Lwiw gefunden, aber seither bin ich allein gefahren, da die Tochter der Direktors Schwester einen panischen Angriff wegen der großen Menschenmengen hatte. Der Zug ist nicht einen, sondern zwei Tage aufgrund der konstanten Explosionen gefahren. Ich habe die ganze Zeit in einem kleinen Abteil mit acht anderen Leuten gesessen.
Ich wollte in Lwiw kurz übernachten, weil drei Tage auf dem Weg mich körperlich und mental entkräftet haben, und dann nach Zypern fliegen. Ich habe eine Schulfreundin, die 2014 wegen des Angriffs auf Luhansk mit ihrem Freund nach Augsburg umgezogen ist. Ich habe gedacht, sie könnte mir die Kontaktdaten ihrer Bekannten geben, bei der ich übernachten kann, aber sie hat mir gesagt, dass diese Bekannte nicht mehr in Lwiw lebt. Stattdessen hat sie mir vorgeschlagen, direkt zu ihr nach Augsburg zu kommen, um sich zu erholen. Ich habe alle Vor- und Nachteile dieses Angebots abgewogen, aber das stärkste Argument, das mich überzeugt so zu machen hat, war der Fakt, dass das Hotel, in dem die Freundin auf Zypern gearbeitet hat, hauptsächlich von Russen besucht wurde. Wie konnte ich lächelnd an der Rezeption stehen und frisch gewaschene Badetücher diesen Leuten geben?
Mit diesen Gedanken habe ich mich entschieden, durch Lwiw nach Uzhgorod und dann nach Deutschland zu fahren. In Uzhgorod wurden Busse organisiert, die zur Grenze mit der Slowakei fahren, wo auch Hilfspunkte eingerichtet sind. Dort konnte ich mein Handy laden und einen kleinen Snack von den Volontären bekommen. Ich bin mit dem Bus zur Grenze gefahren, danach musste ich noch 40 Minuten zu Fuß gehen. Ich war so müde, dass ich beim Gehen einmal einfach hingefallen bin! Nachdem ich die Grenze überschritten habe, habe ich einen der zahlreichen Volontäre gefragt, wie ich nach Augsburg kommen kann. Der schnellste Weg war direkt mit dem Auto zu fahren, das auch von den Volontären organisiert wurde. Zuerst hatte ich Angst, mit all den unbekannten Leuten zu fahren, aber meine Situation war zu hoffnungslos und andere Wege, um nach Augsburg zu kommen, waren zu lang.
In diesem Moment habe ich eine russischsprachige Frau namens Ludmyla kennengelernt. Sie hat mich gefragt, wohin ich fahren muss, und nach meiner Antwort hat sie gesagt, dass sie in die Richtung Freising fährt und dort kann ich umsteigen. Sie und der zweite deutsche Volontär namens Martin haben mich und andere Ukrainer aus dem Bus zu verschiedenen Orten gefahren. Martin und Ludmyla haben in einer Organisation gearbeitet, die Menschen mit geistlichen oder körperlichen Problemen bei der Integration in die Gesellschaft geholfen hat. Eine andere Teilnehmerin dieser Organisation hat in der Küche im Hotel in Freising gearbeitet. Sie hat mit dem Gastgeber gesprochen und er hat erlaubt, die Zimmer in seinem Hotel für eine Woche zu nutzen.
So bin ich nach Freising gekommen. Nach Augsburg konnte ich nicht sofort fahren, weil nur ich Englisch gesprochen habe, und wollte anderen Ukrainern mit der Kommunikation helfen, deshalb habe ich im Hotel ganze Woche gelebt. Obwohl ich endlich frei ausatmen konnte, an meinem ersten Nacht im Hotel habe ich vom Krieg geträumt. Damals war auch das starke Gewitter, aber ich habe gedacht das war wieder ein Schießerei. Ich konnte oft die Flugzeuge hören und die Geräuschen haben mein Angst verstärkt. Ich war sicher das Krieg hat mich sogar hier erreicht. Ich wollte laufen und allen aufwecken, aber nur wenn ich die Treppe erreicht und im Fenster große Wassertropfen gesehen habe, habe ich verstanden das es nur ein Gewitter war.
Wenn ich später zur Freundin nach Augsburg gefahren bin, habe ich gesehen, dass ihre Wohnung sehr klein ist und dort konnte ich nicht vollständig leben. In dieser Zeit haben die Gastfamilien angefangen anderen Ukrainern zu akzeptieren, deshalb bin ich zurück nach Freising gefahren. Ich habe sehr nette Familie aus Haindlfing kennengelernt, die mir sehr geholfen hat.
S: Hast du auch begonnen, Deutsch zu lernen?
M: Im Mai habe ich einen Deutschkurs gefunden. Nach meinem B2-Abschluss habe ich ein Praktikum in einem Hotel in München gemacht. Jetzt absolviere ich einen C1-Kurs, und im März muss ich die Prüfung ablegen. Im Deutschkurs habe ich auch die zweite Hälfte, Lucian, getroffen!
S: Ich bin sehr froh, dass du den Menschen kennengelernt hast, der dich unterstützen wird. Du hast alle wichtigen Entscheidungen allein getroffen! Hast du noch Kontakt zu deiner Familie? Unterstützt sie dich?
M: Ich habe jetzt einen Vater, und früher hatte ich einen jüngeren Bruder. Am Anfang des Kriegs hat Russland begonnen, alle in Luhansk zu mobilisieren, deshalb musste mein Bruder gegen die Ukraine kämpfen. Aber im Mai 2022 ist er gestorben. Mein Vater lebt jetzt auch in Luhansk.
2013 habe ich in Charkiw Jura studiert und im Mai 2014 habe ich mein Diplom erhalten. Das heißt, als der Krieg 2014 begonnen hat, war ich nicht in Luhansk, aber meine Familie ist dort geblieben. Im Juni wurde Luhansk bereits besetzt, und ich hatte lange Zeit keinen Kontakt zu meiner Familie. Aber sie haben auch viel durchgemacht: sie haben drei Monate lang Essen auf dem Feuer gekocht, mussten fast immer in den Keller laufen und für längere Zeit dort sitzen, oft ohne Licht.
Ich konnte erst 5 Jahre nach der Besetzung nach Luhansk fahren. Es war sehr unangenehm für mich, meine Stadt zu betreten und überall russische Plakate zu sehen. Aber darüber wurde in den Medien nicht berichtet, und die Menschen in anderen Teilen der Ukraine lebten weiterhin in Ruhe. Gerade bin ich im Kontakt mit meinem Vater, wir telefonieren regelmäßig mithilfe von Skype.
S: Ich frage mich auch, warum die Medien fast nichts über die Ereignisse von 2014 hervorgehoben haben, obwohl der Krieg genauso schrecklich war wie jetzt. Hattest du damals ein anderes Gefühl am 24. Februar als im Jahr 2014?
M: Ich würde sagen, ich war am 24. Februar besser vorbereitet. Ich hatte das Gefühl, dass der Krieg nicht so schnell enden würde. Viele Leute, die aus Donetsk und Luhansk fliehen mussten, trotzdem gedacht haben, dass sie in einem Monat zurückkommen könnten. Ich war sicher, dass der Krieg 2022 am 23. Februar beginnen würde, denn das ist der Tag des Verteidigers in Russland. Als jedoch nichts passiert ist, war ich erleichtert und glücklich. Aber als ich um 5 Uhr am nächsten Morgen die Explosionen hörte, hatte ich Angst.
S: Ich denke, du hast während deines kurzen Aufenthalts in Deutschland viel erreicht. Gefällt es dir in Bayern?
M: Ja, sehr. Ich mag die Natur, die Kultur, das Essen – einfach alles! Die Sprache ist zwar schwierig, aber die Leute sind sehr nett und hilfsbereit.
S: Und was sind deine Pläne für die Zukunft?
M: Ich möchte den Deutschkurs abschließen und dann eine Ausbildung als entweder Rechtsanwaltsfachangestellte, oder Notarfachangestellte oder Verwaltungsfachangestellte machen. Ich muss auch alle meine Diplome anerkennen lassen, aber das ist leider ein sehr langwieriger Prozess.
S: Welchen Rat kannst du Leuten geben, die Schwierigkeiten mit der Integration haben?
M: Es ist wichtig, immer die Sprachkenntnisse zu verbessern, regelmäßig Deutsch zu lernen, sich ständig weiterzuentwickeln, neue Wege zur Informationsbeschaffung zu finden und kontinuierlich zu lernen. Beim Lernen meine ich nicht nur die Sprache; alles kann in diesem Fall für die Zukunft nützlich werden.
Sofiia Veremeienko