Ukrainische Ostern: wie, wann und wie lang?

„Christus ist auferstanden!“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Diese Begrüßung ist das Erste, was man in der Ukraine am Ostersonntag hört. Wie wichtig ist Ostern für die Ukrainer? Welche Traditionen und Bräuche hat die ukrainische Ostern? Wie feiern die Ukrainer Ostern jetzt und wie war es früher? Auf diese Fragen und noch mehr antwortet Oleksandr Kurotschkin, Doktor Professor der historischen Wissenschaften, der an der Nationalen Universität Kyjiw-Mohyla Akademie und der Nationalen Universität für Kultur und Kunst lehrte. Er arbeitete 56 Jahre als Ethnograph und erforschte die Kulturen anderer Völker. Er teilt auch seine Erfahrung beim Feiern mit.

Prof. Dr. Oleksandr Kuroschkin

Die ukrainische moderne Gesellschaft ist divers, pluralistisch und konfessionell. Die modernen Feiern, die in der Ukraine gefeiert werden, bestehen aus vielen historischen Ebenen (= Einflüssen), die die Feiern geformt haben. Zum Beispiel sind die ältesten Einflüsse die Vorfahren des Heidentums, und später kamen die Traditionen der Christen hinzu. Lange Zeit lebte die ukrainische Gesellschaft in einer christlich-feudalistischen Gesellschaft, bis die Oktoberrevolution die politische Ordnung völlig umgestaltete. Danach folgten die sowjetischen Zeiten, die 70 Jahre dauerten.

Die große Mehrheit der Einwohner der Sowjetunion waren Mitglieder der kommunistischen Partei und durften keine christlichen Traditionen pflegen: Sie durften nicht zum christlichen Gottesdienst in die Kirche gehen und kein Koliaduwannia1 am Weihnachten abhalten. Stattdessen implementierte die Regierung neue Bräuche in die Gesellschaft, wie den Ersten Mai (Tag der Arbeit), den 8. März (Frauentag) oder die Feier der sowjetischen Verfassung. Aber nachdem die Ukraine unabhängig geworden war, wurden alle Verbote aufgehoben. Im Jahr 1990 wurden Ostern und Pfingsten als gesetzliche Feiertage festgelegt.

Seitdem begann für alle Feiern eine eigene „Renaissance“, eine Rückkehr der alten Traditionen und Bräuche. Der Prozess dauerte seit 30 Jahren an und hätte weiter fortschreiten können, wenn kein Krieg begonnen hätte. Der Krieg verursachte negative Effekte auf traditionelle Feiern und stellt die ukrainische Geschichte, Kultur und Sprache vor die Gefahr des Aussterbens. Unter diesen Bedingungen haben die Ukrainer und Ukrainerinnen keine Möglichkeit, ihre Traditionen friedlich auszuüben.

Ich feiere Ostern auf Haushaltsebene: Ich gehe nicht in die Kirche, sondern treffe mich mit anderen Familienmitgliedern. Meine Frau kauft am häufigsten den Paska2 im Laden, aber manchmal backt sie ihn auch selbst. Sie bemalt auch die Eier, und so feiern wir es im Familienkreis.

Selbstverständlich gibt es auch religiöse Menschen, die um Mitternacht in die Kirche gehen und die Paskas weihen. Es gibt auch einige, die später am Morgen kommen. Die Menschen umkreisen die Kirche mit Körben, in denen Paskas, Pysanky3 und Würste liegen, und warten darauf, dass der Priester die Menschen und die Körbe mit heiligem Wasser segnet. Die Körbe sind oft mit traditionellen ukrainischen Handtüchern mit verschiedenen Symbolen bedeckt. Obwohl es in der Fastenzeit verboten ist, viel zu essen, darf man während Ostern alles genießen: Würste, Fleisch, Alkohol und andere Köstlichkeiten. So feiern die Ukrainer Ostern heutzutage.

Neben dem Kirchenbesuch gibt es Vorbereitungen für Ostern und Bräuche nach Ostern. Vor den Feierlichkeiten gibt es die Große Fastenzeit, die am längsten dauert, 7 Wochen. Die letzte Woche dieser Fastenzeit heißt die Karwoche. Das ist die Woche der Vorbereitung auf Ostern, in der jeden Tag bestimmte Rituale durchgeführt werden, wie zum Beispiel am Karmontag, wenn die Frauen das Haus aufräumen und die Männer kleinere Reparaturen zu Hause erledigen. Oder am sauberen Donnerstag (deutsch: „Gründonnerstag“), wenn die Frauen Paskas backen und Eier färben. Früher, im 19. Jahrhundert, gingen die Menschen am Donnerstag in die Kirche und zündeten eine Kerze an. Mit der brennenden Kerze versuchten sie dann nach Hause zurückzukehren. Wenn die Kerze erlosch, bedeutete das Unglück. Heutzutage wird dieser Brauch meistens nur auf dem Land durchgeführt.

In verschiedenen Regionen der Ukraine waren die Traditionen immer unterschiedlich. Ich war auf einer Expedition in den Karpaten und sah, wie junge Burschen große Feuer entweder neben der Kirche oder auf einem Hügel in der Nacht des Karsamstags machten. Sie verteilten sich in Gruppen und veranstalteten Wettbewerbe miteinander: Je größer das Feuer war, desto mehr gewann diese Gruppe. Das Feuer musste die ganze Nacht über brennen.

In den Dörfern tanzten die jungen Leute in der Nähe der Kirche in bunten, nationalen Kleidern. Sie sangen spezifische ukrainische Lieder, die Hahilky oder Hayivky heißen. In diesen Liedern aus dem Heidentum wird über das Erwachen der Natur und die Liebe berichtet.

Auch die kleinen Kinder hatten ihre eigenen Spiele: Jeder nahm ein gefärbtes Ei und kämpfte damit, zuerst mit dem oberen Teil, dann mit dem unteren. Das Ei, das nicht brach, gewann und wurde dann vom Gewinner behalten. Die Mädchen tanzten und sangen oft, während die Jungen eher sportliche Spiele bevorzugten, wie zum Beispiel das Spiel „Schloss“. Die Jungen bildeten einen Kreis, ungefähr sechs Menschen, und hielten sich an den Händen. Dann standen andere Jungs auf den Schultern dieser Jungen und bildeten einen kleineren Kreis. Schließlich bildete sich ein „Gipfel“ aus einer Person. Mit diesem „Schloss“ mussten die Jungen die Kirche dreimal umkreisen.

Nach dem Ostersonntag folgt der Montag, der „Polywanets“ genannt wird, vom Verb „polywaty“, was im Ukrainischen „gießen“ bedeutet. Die Burschen fangen Mädchen und bespritzen sie mit Wasser aus Brunnen. Aber wenn die Mädchen die Pysanky geben, können sie sich retten. Am Dienstag war es umgekehrt: Mädchen gießen Wasser über die Jungen.

Das Ei symbolisiert das Leben. Im Lateinischen gibt es den Spruch „ab ovo“, was „vom Ei“ bedeutet: Alle Beginne kommen vom Ei. In der christlichen Legende ging die Heilige Maria zu Tiberius, um das Leben von Jesus zu schützen, und so schenkte sie ihm das rote Ei. Trotz der Legende existierte die Symbolik des Eies schon früher im Heidentum. In unseren Zeiten hat sich in den Karpaten die Kunst des Malens auf Eiern, die Pysanky, entwickelt. Das bedeutet, die Eier wurden nicht nur gefärbt, sondern mit verschiedenen Zeichen versehen. Infolgedessen entstand im Süden, Norden, Westen und Osten der Ukraine eine einzigartige regionale Symbolik. Es gibt rund 20 Techniken, wie man das Ei bemalen kann. Später wurden Eier aus Holz als Andenken hergestellt und zum Verkauf an Touristen angeboten.

Die Tradition, Paskas zu backen, entwickelte sich im 18.-19. Jahrhundert. Insbesondere bestellten die Grundherren Paskas für viele Leute. Als Folge waren die Paskas so groß, dass dafür bis zu 300 Eier benötigt wurden. Damit konnten die Grundherren ihren Reichtum und ihre Pracht darstellen. Der Backprozess musste geheim sein: Niemand durfte die Bäckerinnen ablenken. Falls die Qualität der Paska unbefriedigend war, beeinflusste dies negativ das Leben im nächsten Jahr. Es wurde als magisches Heilmittel betrachtet, und man glaubte, dass man die Krümel auf dem Land verstreuen konnte, um sich eine gute Ernte für das nächste Jahr zu wünschen.

Eine der wichtigsten Symbole des ukrainischen Osterfestes sind Weiden. Sie sind eine der ersten Bäume, die ihre Knospen austreiben. Die Woche vor Ostern wird auch als die Palmenwoche bezeichnet. Als Jesus nach Jerusalem kam, wurde er mit Palmenblättern begrüßt. In der Ukraine wachsen keine Palmen, daher heißt die Woche „Weidenwoche“.

Die kirchliche Tradition hat viel gemeinsam mit den Traditionen aus Griechenland, aber sie führt auch weiter zu Ritualen aus dem Heidentum. Die Heiden feierten den Frühlingsanfang, was als Prototyp für Ostern betrachtet wird. Die Ukraine hat eine reiche Geschichte und besondere Feierlichkeiten, die leider gefährdet sind. Daher ist es wichtig, darüber Bescheid zu wissen und Traditionen zu bewahren.

  1. Koliaduwannia: ein weihnachtlicher Brauch, bei dem man Häuser besucht und Koliadky (= Weihnachtslieder) singt. Gewöhnlich nimmt man ein Handtuch (Ruschnyk), Sterne und einen Sack mit Getreide mit. Nachdem die Koliadky gesungen wurden, werden die Samen von Getreide als Wunsch für eine gute Ernte auf den Boden geworfen. Am Ende geben die Gastgeber den Menschen, die am Koliaduwannia teilnehmen, Geld. ↩︎
  2. Paska:  ist das ukrainische Osterbrot ↩︎
  3. Pysanky: gefärbte Eier, auf denen mit bestimmten Techniken verschiedene Symbole versehen werden ↩︎

Alle Bilder: (c) Prof. Dr. Oleksandr Kurotschkin

Sofiia Veremeienko

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